Chemotherapie? 

  Dauerhafte Schädigung des Gehirns durch Chemotherapien

Dass das »Chemo-Brain« – Chemo-Gehirn – real ist, wird von Wissenschaftlern bestätigt. Sie fanden klare Beweise dafür, dass die kognitiven Fähigkeiten von Patienten, die eine Chemotherapie durchmachen, beeinträchtigt sind. Wie die neuen Studien zeigen, kann eine Chemotherapie zu Konzentrations- und Erinnerungsstörungen führen, die sich in einer Art »Gehirnnebel« äußern, wie viele Teilnehmer beschreiben. 

Es gab und gibt viele Theorien über negative Auswirkungen einer Chemotherapie auf das Gehirn; eine neue wissenschaftliche Studie beschreibt erstmals den Mechanismus des Ablaufs. Die Studie wurde an der Abteilung für Psychologie und Physiotherapie der University of British Columbia durchgeführt. Die teilnehmenden Brustkrebspatientinnen mussten zunächst bestimmte Aufgaben ausführen, wobei die Gehirnaktivität aufgezeichnet wurde. Es zeigte sich, dass Menschen mit Chemo-Brain Schwierigkeiten haben, sich über längere Zeit zu konzentrieren. Viele Patienten und Pfleger nutzen den Begriff »Chemo-Brain« oder »Chemo-Nebel«, doch Ärzte beschreiben den Zustand lieber als »leichte kognitive Beeinträchtigung« (»LKB« oder »MCI« nach dem englischen »mild cognitive impairment«) oder »kognitive Dysfunktion«. 

Viele Patienten, die an der Störung – wie immer sie genannt wird – leiden, können alltägliche Dinge problemlos erledigen. Dennoch gibt es offenbar eine deutliche Verschlechterung der Leistung im Vergleich zu der Zeit vor der Chemotherapie. Möglich sind folgende Symptome: 

Gedächtnisverlust oder schlechteres Gedächtnis 

Wortfindungsstörungen 

Konzentrationsschwierigkeiten 

abschweifende Gedanken, 

Schwierigkeiten beim Multitasking 

Erschöpfung (Müdigkeit und Energiemangel) 

Schwierigkeiten, den Gesprächsfaden aufrecht zu erhalten 

Verwirrung und/oder Denkstörungen 

Die statistischen Angaben, wie viele Menschen nach einer Krebstherapie eine leichte kognitive Beeinträchtigung aufweisen, sind nicht besonders aufschlussreich. Bei einer Studie an Frauen mit Brustkrebs schwankte der Anteil der Frauen mit kognitiver Beeinträchtigung zwischen 17 und 50 Prozent. Weitere Untersuchungen müssen zeigen, wie häufig diese Probleme bei Chemotherapie-Patienten sind. Ärzte und Forscher kennen die direkte Ursache leichter kognitiver Beeinträchtigung nicht. Untersuchungen deuten auf mehrere Faktoren hin, darunter Chemotherapie, andere Formen der Krebsbehandlung, Ängstlichkeit, Erschöpfung, hohes Alter, Depression und/oder Veränderung der Zytokine (Bluteiweiße). 

Auswirkung der Chemotherapie Deutsche Wissenschaftler haben Frauen mit Brustkrebs vor, während und nach einer Chemotherapie untersucht. Sie kamen zu dem Schluss, dass andere unbekannte Faktoren die Denkprozesse vor der Chemotherapie beeinflussten, diese Probleme bei manchen Frauen durch die Chemotherapie aber noch verschlimmert werden können. 

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung treten auch häufiger Depression, Ängstlichkeit und Erschöpfung auf. Es ist nicht bekannt, ob die Ursachen dafür dieselben sind wie bei der kognitiven Beeinträchtigung, oder ob das eine das andere bewirkt. Die Untersuchungen leiden unter anderem daran, dass die Tests nicht immer die Probleme erfassen, mit denen Menschen nach einer Krebsdiagnose konfrontiert sind. Menschen, die Schwierigkeiten haben, zeigen »normale« Testergebnisse. 

Bei einer Studie in den Niederlanden wurden Frauen mit Brustkrebs untersucht; die kognitiven Beeinträchtigungen wurden mit den verschiedenen Formen der Chemotherapie in Beziehung gesetzt. Die Forscher untersuchten Frauen vor und nach der Behandlung und verglichen sie mit Frauen, die keine Chemotherapie machten, und anderen, die gar nicht an Brustkrebs erkrankt waren. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass Frauen, die mit hochdosierten Chemotherapeutika behandelt wurden, eher eine kognitive Beeinträchtigung zeigten als Frauen bei einer Standardbehandlung. 

Bei der Untersuchung, ob das Gehirn nach einer Chemotherapie anders arbeitet, griffen Forscher auf auch MRT-Scans zurück. Die Teilnehmerinnen absolvierten einen Gedächtnistest. Er begann mit einfachen Fragen, deren Schwierigkeitsgrad nach und nach stieg. Dabei wurde ein MRT-Scan gemacht. Die Forscher konnten bei beiden Gruppen eine erhöhte Gehirnaktivität feststellen, aber bei den Chemotherapie-Patientinnen war sie deutlich weniger ausgeprägt. Kristin Campbell, Assistenzprofessorin an der Abteilung für Physiotherapie und Leiterin der Studie, erklärte: »Ärzte erkennen jetzt, dass die Auswirkungen der Krebsbehandlung noch lange andauern und dass sie das Leben eines Patienten nachhaltig beeinflussen können.« Darüber hinaus sei sie überzeugt, dass diese Ergebnisse Ärzten und Therapeuten helfen könnten, die Wirkung einer Chemotherapie auf das Gehirn zu testen und zu messen.

 Die Chemotherapie und die direkte Auswirkung auf unser Gehirn 

Mittlerweile hat die Chemotherapie auch unter Fachleuten nicht mehr den besten Ruf. 70 Prozent aller Behandelten sterben innerhalb von drei Jahren nach der Chemo. Nun ist nachgewiesen, dass die Chemotherapie unser Gehirn nachhaltig schädigt. 

Im Januar 2011 hat Andrea Macher erfahren, dass sie Brustkrebs hat. Nach einigen Operationen erhält sie eine Chemotherapie, die sich über mehrere Monate hinzieht. Heute geht es ihr verhältnismäßig gut, sagt sie. Immerhin arbeitet die 51-Jähige seit gut einem Jahr wieder. 

„Alle denken, ich bin wieder gesund. Fühlt sich ja für mich in großen Teilen auch so an. Aber ich merke deutlich: Es ist anders als vor der Erkrankung.“ 

Andrea Macher kann sich seit der Chemotherapie nicht mehr voll auf ihr Gehirn verlassen. „Also ich weiß Dinge nicht mehr, die ich früher wusste. Da ist es die Erinnerung, die nicht funktioniert, aber deutlich auch die Konzentration. Dieses nebenbei telefonieren, noch eben eine Anweisung geben und im Topf rumzurühren, das kann wirklich schon mal daneben gehen (lacht). 

Das gewöhne ich mir allmählich auch an, mehr nacheinander zu machen, als gleichzeitig, weil ich dann hinterher auch nicht mehr weiß, was ich da eigentlich gemacht habe.“ 

Das, was Andrea Macher erlebt, ist keine Seltenheit. Es kann jeden treffen, der im Rahmen einer Krebsbehandlung auch eine Chemotherapie durchlaufen muss. Diese unerwünschte Nebenwirkung, die unter Umständen auch lebenslang anhalten kann, wird auch als Chemo-Brain bezeichnet, erklärt Michael Sabel, Neurochirurg und Neuroonkologe am Universitätsklinikum Düsseldorf: 

„Also Chemo-Brain ist ein Symptomkomplex, der im Prinzip von Patienten selber geprägt wurde. Patienten, die unter Chemotherapie Merkfähigkeitsstörungen entwickelt haben, kognitive Störungen entwickelt haben, haben das auf die Chemotherapie zurückgeführt und auch als Chemo-Fog bezeichnet, also als Benebelung durch die Chemotherapie.“ Auch Andrea Macher führt ihre Schwierigkeiten, sich Namen zu merken oder wie früher ganz selbstverständlich mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, hauptsächlich auf die Chemotherapie zurück: 

„So nach der vierten Chemo, so gegen Ende, ging das los. Ja, das Gemeine ist, dass das ja noch viel länger anhält. Die Chemo ist jetzt ein Jahr her und ich habe mit den Auswirkungen immer noch zu tun und ich führe es schon deutlich auf die Chemo zurück. Kenne es übrigens auch aus Erzählungen von anderen Patientinnen. Ich bin ja in der Frauenselbsthilfe und da nicken immer alle wissend, wenn ich das dann anspreche.“ 

Neuropsychologische Untersuchungen haben in den vergangenen Jahren bestätigt, dass es diesen vernebelnden Effekt nach einer Chemotherapie tatsächlich gibt. Nun haben Forscher aus den USA erstmals in Bildern nachweisen können, dass sich das Organ, also das Gehirn, tatsächlich durch die Chemotherapie verändert. Mit der sogenannten Positronen-Emissions-Tomographie – kurz PET – haben sie die Hirnfunktion von 128 Brustkrebspatientinnen vor und nach der Chemotherapie untersucht. 

Mit einer speziellen Software suchten die Wissenschaftler nach Unterschieden im Stoffwechsel des Gehirns vor und nach der Chemo – mit Erfolg. Sabel: „Das Neue und Hochinteressante an dieser Untersuchung ist, dass man dieses Chemo-Brain jetzt tatsächlich visualisieren kann. Und damit kann man es natürlich auch in einer gewissen Weise objektivieren und möglicherweise auch quantifizieren.“ 

Zwar wurde die Studie bisher nicht gänzlich veröffentlicht, doch der Düsseldorfer Arzt Michael Sabel ist auch jetzt schon von den Erkenntnissen begeistert: 

„Und soweit wir die Daten aus den Publikationen ableiten können, scheint es sich im Wesentlichen um Stoffwechselveränderungen im Frontalhirn, also im Stirnhirn zu handeln. Und das erklärt viele der Symptome, die die Patienten haben, wie zum Beispiel dieses fehlende Multitasking.“ 

Betroffen sind vom Chemo-Brain offensichtlich vor allem die Bereiche im Gehirn, die für das Erinnern sowie das Planen und Einordnen von Informationen zuständig sind. Das funktioniert auch bei Andrea Macher nicht mehr so gut: 

„Mir geht der Faden verloren im Gespräch, ich kann in der Diskussion nicht mehr das, was ich sagen wollte, so zusammenhalten. Ich kann auch nicht so gut zusammenfassen, was andere gesagt haben und wenn es neue Sachverhalte gibt, da habe ich den Eindruck, ich bin deutlich langsamer geworden und muss mir Sachen zwei-, dreimal durchlesen, bevor ich die verstanden hab. Das ist eine deutliche Einschränkung.“ 

Deshalb sind kleine Zettel zu ihren ständigen Begleitern geworden, auf die sie sich alles notiert, was sie nicht vergessen darf. Das hilft. Meistens jedenfalls. Außerdem setzen Betroffene auf Gedächtnistraining, Konzentrationsübungen und psychologische Unterstützung, um mit den Schwächen besser umzugehen. Das wird wohl auch weiterhin das wichtigste bei der Therapie des Chemo-Brain sein, meint Michael Sabel. Der Mediziner hofft aber, dass die aktuellen Erkenntnisse in die Entwicklung neuer Chemomedikamente einfließen. 

 

   

Kleine Eigenwerbung: